Das Glück verläuft in einer U-Form

Mit 20 sind wir am glücklichsten, dann kommt die Midlife-Crisis, ab 45 geht es wieder bergauf. Warum spielt das Alter eine so grosse Rolle?
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Nach 45 zeigt die Glückskurve wieder nach oben.

Die Soziologin Hilke Brockmann erklärt es im Interview mit "Spiegel.de".

SPIEGEL ONLINE: Frau Brockmann, Sie sind Soziologin und Glücksforscherin und haben das Glück verschiedener Lebensalter erforscht. Welches ist denn das glücklichste Lebensalter?

Brockmann: Das junge Erwachsenenalter um Anfang 20 ist ein sehr glückliches Alter. Man ist stark von Verpflichtungen und Unsicherheiten befreit. Man ist ungebunden, frei. In diesem Alter kümmert man sich um sein Gefühlsleben und die Partnerwahl. Hinter einem liegen zwei Jahrzehnte, in denen man sich Freiheiten erkämpft hat. Vor einem liegen Karriereziele und Möglichkeiten. Das macht zuversichtlich, zumindest die meisten.

SPIEGEL ONLINE: Wie lange bleibt denn dieses junge Glück stabil?

Brockmann: Das Glück nimmt einen U-förmigen Verlauf. Erst bewegt man sich kontinuierlich auf die Midlife-Crisis. Mit Mitte 40 ist internationalen Studien zufolge der Tiefpunkt da. Das Muster ist sehr stabil. Das hängt damit zusammen, dass in den frühen Jahren Entscheidungen getroffen wurden: Man hat sich beruflich festgelegt, hat einen Lebenspartner gesucht, hat vielleicht Kinder. Doch vielleicht halten Job und Partnerschaft nicht mehr, was ich mir von ihnen versprochen habe. In unseren modernen Lebensläufen sind wir ziemlich stark festgelegt. Verpflichtungen sind da, die in diesen Lebensjahren nicht leicht aufzukündigen sind. Das führt zu Frust.

SPIEGEL ONLINE: Die Midlife-Crisis gibt es also wirklich...

Brockmann: Ja, die empirische Glücksforschung bestätigt das. Gefühlt nehmen die individuellen Enttäuschungen zu, die Kontrollmöglichkeiten ab, und gleichzeitig liegt noch eine lange Wegstrecke vor einem. Das macht unzufrieden und erhöht den Veränderungsdruck.

SPIEGEL ONLINE: Kann Unglück denn zum Motor für Handeln werden?

Brockmann: Ja, Unglück ist überhaupt nichts Schlimmes, zumindest wenn es nicht lange anhält. Heute hinterlässt die populäre Literatur oft den Eindruck, wir alle seien ständig verpflichtet, glücklich zu sein, als herrsche eine Art Glücks-Terrorismus: "Smile or die". Ich glaube, es ist gut, die Produktivität des Unglücks als Motor für Veränderung zu erkennen. Vielleicht muss man in seiner Ehe oder im Beruf aufräumen. Die gute Nachricht: Nach 45 geht es aufwärts. Kurz vor der Rente erreichen wir wieder das Niveau der Anfang-20-Jährigen.

SPIEGEL ONLINE: Wieso werden wir in der zweiten Lebenshälfte wieder glücklicher?

Brockmann: Die Wertigkeiten verändern sich. Es geht nicht mehr so stark um Wettbewerb bei der Partnerwahl oder im Job, Konkurrenz macht unglücklich. Fehler und Niederlagen werden eher akzeptiert, die Einsicht wächst, dass man sich im Leben umorientieren muss. Wenn beispielsweise bei der Karriere die gläserne Decke erreicht ist, investieren wir in andere Bereiche wie Freizeit oder das Zusammensein mit Freunden. Diese Gelassenheit macht glücklich und ist gewinnbringender. Gleichzeitig ist das Leben noch sehr lang, das schafft Freiräume, auch in späteren Jahren. Allerdings sind das statistische Mittelwerte. Ich zum Beispiel bin eine späte Mutter, da kommt die Entlastung von dem Stress der mittleren Jahre später.

SPIEGEL ONLINE: Machen Kinder glücklich?
Brockmann: Viele Studien zeigen, dass Kinderlose und Familien gleichermassen glücklich sind. In neuen und genaueren Studien zeigt sich, dass kleine Kinder, vor allem Einzelkinder schon glücklich machen. Wenn sie älter werden, ändert sich das allerdings wieder. Kinderreichtum bedeutet aber in jedem Fall weniger Glück. All diese Befunde haben jedoch auch Unschärfen. Wir können ja den Effekt, Kinder zu haben, nicht in einer klinischen Laborsituation nachstellen und fehlerfrei messen.

SPIEGEL ONLINE: Und Karriere?

Brockmann: Die Daten für Deutschland sind im Mittel so, dass Frauen weniger auf Status und Karriere achten. Das scheint sehr traditionell, aber vielleicht steckt auch mehr dahinter. In jedem Fall sind ihnen Familie und Freundschaften sehr wichtig. Für Männer ist Karriere ein wichtigerer Glücksfaktor als bei Frauen. Doch natürlich gibt es auch hier Ausnahmen von der Regel, sehr männlich agierende Frauen und sehr weibliche Männer.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es eine Glücksrezeptur, wie viele Bücher suggerieren?

Brockmann: Ich glaube, man sollte diese Ratgeber entspannt lesen. Man kann schauen, was einen anspricht. Die eine Glücksrezeptur gibt es nicht, es ist immer ein Mix an Aspekten, die ein erfülltes Leben bedingen. Soziales Miteinander gehört dazu, auch soziale Anerkennung, aber auch ausreichend Schlaf und Bewegung. Ganz wichtig: das Gefühl, das eigene Leben kontrollieren zu können. Bei diesen Ratgebern sollte man sich zusammenklauben, was einem individuell guttut. Auch ein Zuviel an Glücksangeboten kann überfordern, mehr ist nicht immer besser: Besuchen Sie einmal als Erwachsener einen amerikanischen Freizeitpark!

SPIEGEL ONLINE: Haben glückliche Menschen besondere Eigenschaften?

Brockmann: In der Psychologie herrschte lange Zeit ein genetischer Ansatz: Entweder war man zum Glück veranlagt oder nicht. Es stimmt zwar, dass Menschen mit gewissen Eigenschaften glücklicher sind. Extrovertierte Leute sind in der Regel glücklicher. Man braucht auch eine gewisse Ignoranz gegenüber möglichen Katastrophen, eine Robustheit. Aber das kann man sich antrainieren. Wer lacht, bekommt ein Lachen zurück. Freundliche Gesten erleichtern den Kontakt. Das Soziale ist ein ganz wichtiges Glückselixier. Leute, die glücklich sind, ziehen Menschen an. Unglück hingegen macht einsam. Aber es ist zum Glück viel weniger biologisch determiniert, ob wir glücklich oder unglücklich sind, als viele Forscher lange zu wissen glaubten.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es denn Dinge, die definitiv unglücklich machen?

Brockmann:Interessanterweise machen in einer Wohlstandsgesellschaft Reichtum und Wachstum kaum glücklicher, viele Konsumgüter machen sogar eher unglücklich. Auch Arbeitslosigkeit macht messbar unglücklich und lässt sich nicht mit Geld kompensieren. Die Glücksforschung zeigt sogar, dass Arbeitslosigkeit eine Wunde schlägt, weil sie ein Ausschluss aus dem Sozialen ist. Da bleibt Jahre später noch eine Narbe.

SPIEGEL ONLINE: Kommen wir zurück zu den Generationen. Wie sieht denn das Glück im Alter aus?

Brockmann: Der Übergang in den Ruhestand ist kein Einbruch mehr, sondern eine Lebensphase, die in der Regel sehr gut gefüllt ist. Die neuen Alten entdecken Möglichkeiten und sind oft glücklicher als mit 30. Da ist Freiheit, noch Türen aufzustossen. Es sind die letzten Lebensjahre, die abfallen. Kein Wunder, denn diese Zeit ist oft von Einsamkeit und Sinnlosigkeit geprägt. Ich denke aber, dass wir das Alter, gerade in Deutschland, viel zu sehr überschätzen. Es ist doch nie zu spät, etwas Sinnvolles zu beginnen, das glücklich macht.

ZUR PERSON Hilke Brockmann ist Professorin für Soziologie an der Jacobs University in Bremen. Sie forscht an den Ursachen und Folgen der demografischen Alterung und dem subjektiven Wohlbefinden. Gerade ist ihr neues Buch "Human Happiness und the Pursuit of Maximization. Is more always better?" erschienen, in dem sie mit Autoren aus der Psychologie, Philosophie, Neurowissenschaft, Soziologie und Ökonomie das wachstumskritische Potential der Glücksforschung untersucht.

Quelle: www.spiegel.de


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